Themen

BDA in Fahrt 2023: Südtirol

16. November 2023

Ein Nachbericht von Wolfgang Kuchtner:

BDA in Fahrt
Exkursion nach Südtirol 9. bis 12. Oktober 2023

Südtirol – das kennt man doch als das sonnenverwöhnte Ferienparadies für Wander- und Skiurlaube, geprägt von besonderen Naturschönheiten, laubengeführter Altstadtgassen, traditioneller Lebensart und Gastlichkeit, verbunden mit mediterranem Flair und gutem Wein, aber praktischer Weise deutschsprachig, so dass man alles ideal kombiniert beisammen hat. Dazu kommen die inzwischen architektonisch ambitionierten Weinkellereien und Degustationsstätten, sowie manches an neuem Bauen, das vorbildhaft für den gesamten Alpenraum für frischen Wind in der Architektur sorgt.

Was man zwar auch weiß, aber doch eher ausblendet, ist die Tatsache, dass das Land, soweit es die Topografie zulässt, dicht besiedelt ist, die Landwirtschaft, besonders bei den Apfelplantagen bis zum Äußersten intensiviert ist und die grauen Netze gegen Hagelschlag ganze Talbereiche überspannen, der Weinbau auch noch bis in den letzten Winkel ausgedehnt, die Hauptstadt Bozen hoch industrialisiert ist und ein Gewerbegebiet von einer Größe und Dichte enthält, das man bei einer Stadt von etwas über 100 000 Einwohnern nicht erwarten würde. Da passte es ganz gut, dass unser Hotel (durchaus sehr angenehm) mangels anderer Kapazitäten mitten in dieser Industrielandschaft war, um Südtirol einmal von einer ganz anderen Seite kennen zu lernen.

Nicht nur Landwirtschaft und Industrie, sondern vor allem der inzwischen übersteigerte Tourismus sorgen dafür, dass das ehemals ärmliche Land inzwischen zu den wohlhabendsten Regionen nicht nur Italiens sondern ganz Europas geworden ist. Wenn aber, wie von Wolfgang Jean Stock im Exkursionsprogramm ausgeführt, auf rund 500 000 Einwohner jährlich 30 Millionen Übernachtungen kommen, dann ist nicht nur eine Grenze erreicht, sondern im Sinne des „Übertourismus“ diese längst überschritten. Mehr geht einfach nicht mehr, so spürt man es allerorten, und das betrifft dann eben auch das Bauen. Und somit ergibt sich der Anlass, nach 8 Jahren mal wieder in dieses Land zu fahren, um auch hier einem gewissen Paradigmenwechsel nachzuspüren, der das Baugeschehen erneut beeinflusst. Es ging diesmal hauptsächlich um neue Impulse zum Bauen im Bestand, zum Flächensparen und zum sensiblen, ortsbezogenen Weiterbauen und Erhalten.

Die Anfahrt über Seefeld in Tirol gab uns die Gelegenheit, einen Klassiker des Neuen Bauens von 1930 zu erleben aus einer Zeit, als es auch in Nordtirol Ambitionen zu einem neuen Regionalstil gab, das Hotel Berghof von Siegfried Mazagg, der neben Clemens Holzmeister, Lois Welzenbacher und anderen zu den wichtigsten Vertretern dieser Epoche zählt. Das sorgfältig restaurierte Haus vermittelt eine sehr angenehme Atmosphäre, wobei die Eingangslobby in gediegen komfortabler Ausstattung etwas an Adolf Loos erinnert. Davor aber erinnerte uns die Betrachtung einer kleinen Terrassenwohnanlage von 1995 von Henke Schreieck Architekten daran, dass der Terrassenbau einmal als großes Heilsversprechen im Geschosswohnungsbau galt, sich aber dennoch nur selten etabliert hat, selbst da, wo sich dieser aufgrund der Hanglage anbietet.

In Brixen besichtigten wir zwei für die Stadt sehr wichtige kürzlich realisierte Objekte vom Büro Carlana Mezzalira Pentimalli, das beide Male im Rahmen eines EU-weiten Wettbewerbs von über 100 Teilnehmern auswählt worden war. Die neue Musikschule in streng geometrischem Duktus, aber mit ornamentierter, warmfarbiger Betonoberfläche und einem Eingang durch einen Innenhof, bildet die Setzung eines Ortes in einer ansonsten eher banal heterogenen Umgebungsbebauung. Die Stadtbibliothek am Domplatz führt über ein unauffälliges historisches Haus in einen neuen Anbau, der sich als ein polygonales Raumkunstwerk entfaltet mit verschränkt über die Geschosse verbundenen Lufträumen, so dass selbst für den geübten Betrachter die bauliche Struktur nicht leicht zu erfassen ist. In dem großen Erkerfenster zum rückwärtigen Hof spiegelt sich der Turm der sonst kaum wahrnehmbaren Kapelle hinter dem Dom.

Die folgenden drei dicht gepackten Besichtigungstage waren jeweils einem der derzeit wichtigsten Vertreter der gegenwärtigen Architekturentwicklung gewidmet. Zuerst kamen Werke von Walter Angonese, der schon als Klassiker der neuen Architektur in Südtirol gelten dürfte und bezüglich der Architekturthemen in vielen Bereichen zuhause ist.

Thomas Tschöll führte uns am Vormittag zu den Projekten, die er mitausgeführt hatte. Den Auftakt machte das in einer engen Schlucht in den Berg hineingebaute, mehrgeschossige Gebäude einer Kunstgalerie in Bozen, das Sammlerhaus Dalle Nogare von 2013. Ein vorgelagerter Eingangshof lässt nur einen Teil des in seiner Expressivität an Betonbauten Gottfried Böhms erinnernden Gebäudes sichtbar, während das Meiste, inzwischen auch überwachsen, zum Berg wird. Die Gesamtkonzeption profitiert von der in Südtirol geltenden rechtlichen Vorgabe, wonach ein unterirdischer Teil eines Gebäudes in landschaftlich geschützten Lagen größer sein darf als der oberirdische. Nach demselben Prinzip wird zurzeit in Girlan ein Anbau für das Haus Tabarelli, das Domizil eines Kunstsammlers so in den vorgelagerten Hang eingebaut, dass es von der Talseite kaum sichtbar sein wird.

Für das Thema – Viel Platz auf kleinem Grundstück – gibt es in Kaltern zwei Beispiele: Ein in rückwärtiger Lage eingefügtes kleines Bibliotheksgebäude, das nach einem Wettbewerb möglichst kostengünstig als „Low Tech“, aber doch als herausgehobener Bau wirken sollte. Das steile Ortbeton-Walmdach sollte ursprünglich mit farbigen Fliesen belegt werden, was aber aus finanziellen und technischen Gründen leider nicht so erfolgte. Ein weiteres kleines Objekt ist das Wohn-und Geschäftshaus Weingut Pichler. Das kubisch ausformulierte Gebäude ist durch die maximale Ausnutzbarkeit des Grundstücks definiert und nützt die rechtliche Möglichkeit, zusätzlich markante Vordächer über den Fenstern anzuordnen, die gleichzeitig Solarpaneele aufnehmen. „Legislating architecture“ nennt man so etwas inzwischen. Die Kunst besteht darin, es dennoch als ursprünglich so gewollt wirken zu lassen.

Nachmittags führte uns dann Francesco Flaim zu einigen, auch von ihm mitkonzipierten Objekten. Am Kalterer See liegt das bekannte Hotel Ambach von Othmar Barth aus den 70er Jahren, das perfekt renoviert, nicht trotz sondern gerade wegen seiner in die Jahre gekommenen ehemaligen Modernität samt seiner originären Ausstattung zu den Architekturikonen Südtirols gehört. Das sehr schöne parkartige Grundstück direkt am See hat einen eleganten Badepavillon von W. Angonese bekommen.
Nach einem ähnlichen Prinzip wie beim Sammlerhaus Dalle Nogara in Bozen wird zurzeit in Girlan ein Anbau für das Haus Tabarelli, ein ursprünglich von Carlo Scarpa erbautes Domizil eines Kunstsammlers, so in den vorgelagerten Hang eingebaut, dass es von der Talseite kaum sichtbar sein wird. Ein abschließender Besuch der Weinkellerei St. Michael in Eppan, der größten in Südtirol, zeigte uns, dass man auch bei Arbeitsstätten einen besonderen architektonischen Anspruch erheben kann, selbst dort, wo man es von außen gar nicht wahrnimmt, wie z.B. bei der großen Halle für Anlieferung und Umfüllen der Weintrauben.

Der nächste Tag galt dann Zeno Bampi, einem sanften Rebellen der Architekturszene, dessen Motto es ist, sich jedem eitlen Anspruch großartiger Veränderungen zu verweigern und so zu agieren, dass „man eigentlich nichts gemacht hat“. Architektur bedeutet in erster Linie Kommunikation, so lautet sein Credo. In Lana, (der einzige Ort, dessen Name auf Deutsch und Italienisch gleich lautet) konnten wir zu Beginn ein wunderbares Objekt von ihm vorgeführt bekommen: Das liebevoll, ja geradezu zärtlich renovierte Gasthaus Reichhalter, das „minimalinvasiv“ mit sorgfältig platzierten Gebrauchtmöbeln eine spezielle Stimmung zwischen Askese und echtem Luxus vermittelt. In Tisens gibt es ein urtümliches Traditionsgasthaus, das als Restaurant zum Löwen von einer inzwischen bekannten Sterneköchin Anna Matscher bewirtschaftet wird und in seiner Verbindung von nur noch selten erlebbarer originaler Bausubstanz eines alten Winzeranwesens mit souverän eingestellten Glas-Einbauten zu den besonderen Ausflugszielen in der Umgebung gehört. Einen Abstecher wert war die geschichtsträchtige Fahlburg, ein original erhaltenes Renaissance-Schloss, bislang in Familienbesitz der Grafen Brandis. Es harrt der schwierigen Aufgabe einer behutsamen Renovierung mit Ausbau eines riesigen Dachraumes für eine kulturelle Begegnungsstätte des Atesia-Verlages als neuem Eigentümer.

Einen Höhepunkt der ganzen Exkursion aber stellte der Besuch des Berggasthofs Hotel Berghoferin in Oberradein dar. Ursprünglich ein einfacher Berggasthof, 1961 erbaut, erfuhr das Anwesen verschiedene Anbauten und Erweiterungen, deren letzte Zeno Bampi mit seiner Grundhaltung der kaum wahrnehmbaren Veränderungen durchgeführt hat. Die Fenster des Veranda-Anbaus stammen z.B. als Wiederverwendung von einem geplanten Sanatorium. Die Ausstattung des gesamten Hotels besteht aus verschiedentlich zusammengesuchten, aber wertvollen Gebrauchtmöbeln, die Zimmer und Suiten sind alle verschieden und höchst einladend. Bewirtschaftet wird das Hotel von der Tochter von Zeno Bampi. Auf der Terrasse konnten wir bei strahlendem Sonnenschein und traumhaftem Ausblick ein Mittagsbuffet von ausgesuchter Qualität genießen. Die Wellnessbereiche sind eher unauffällig untergebracht, und das Ganze verströmt eine so unaufgeregt gediegene und zugleich heitere Atmosphäre, dass man trotz des sehr hohen Preissegments des Hotels den Gedanken schwer verdrängen kann: wenigstens einmal im Leben sollte man doch…..!

Den Schlusspunkt der Begegnung mit Zeno Bampi stellte der Besuch seines Heimatortes Neumarkt dar, welcher mit seiner beidseitig laubengeführten Hauptstraße etwas im Dornröschenschlaf zu liegen scheint, und den er mit vereinzelten Projekten, wie einer kleinen Enothek oder dem Einbau einer Stadtbücherei und eines Theaters in einen ehemaligen Stadel wachzuküssen versucht hat. Letzteres war ursprünglich ein Warenumschlagplatz für auf der Etsch angelieferte Waren für Neumarkt. Abends waren wir vor seinem stattlichen und ehrwürdigen Wohn- und Bürohaus zu einer Jause bei gutem Wein eingeladen, den sein Sohn mit einem kleinen aber feinen Winzerbetrieb, der auch im Haus untergebracht ist, bereitgestellt hatte.
Der Bürobesuch gab einen vielfältigen Eindruck seiner unüblichen, aber kreativen Arbeitsweise.

Als Dritter im Bunde kam am letzten Tag dann Gerd Bergmeister von Bergmeisterwolf Architekten, der uns auch persönlich durch seine Projekte führte. Kürzlich noch als Newcomer gehandelt, ist das Büro inzwischen sehr etabliert und mit wichtigen Preisen ausgezeichnet, dabei bescheiden geblieben, wie auch bei einem kurzen Bürobesuch in Brixen zu sehen war, und mit besonderer Intensität darauf bedacht, bei jeder Bauaufgabe den jeweiligen genius loci zu erfassen.

Im hoch gelegenen, traditionellen Urlaubsort Oberbozen fand schon vor über 100 Jahren das statt, was damals noch im wörtlichen Sinne als „Sommerfrische“ verstanden wurde, nämlich der sommerlichen Hitze in Bozen zu entfliehen. Das Hotel Holzner, ursprünglich „Bahnhofshotel“ von 1906, war und ist wieder das erste Haus am Platz. Obwohl bislang nicht unter Denkmalschutz gestellt, ist das sehr stattliche und ortsbildprägende Gebäude denkmalgerecht renoviert und im unteren Hangbereich erweitert worden, wobei der seitliche Anbau für Ferienwohnungen so unauffällig wirkt, dass das Hauptgebäude als beherrschende Erscheinung verbleibt. Das Dach wurde unmerklich leicht angehoben und ausgebaut. Wahlweise mit der Rittner Schmalspurbahn oder mit unserem Bus konnten wir nach Klobenstein gelangen, wo wir im Ortsteil Rappersbühl eine frei gelegene Hofstelle besuchten, die aus einer in eher traditioneller Bauweise errichteten Tenne mit Offenstallungen besteht und daneben aus teilweise ganz unsichtbar in den Hang hineingebauten Ferienlodges. Sie lassen im Innern an zeitgemäßer, qualitätsvoller Ausstattung mit Lehmwänden und Holzeinbauten nichts zu wünschen übrig. Die einzigartige Aussicht auf die Dolomiten tut ein Übriges. Nur das Wohnhaus der Besitzer in Holzausführung mit steilem, mit Gras bewachsenem Pultdach, war von außen sichtbar.

Zurück in Brixen haben wir einen kleinen Einblick in das renovierte Hotel Adler nehmen können, samt einem kupfergedeckten Anbau in einem kleinen Innenhof sowie die Baustelle des neuen, in beengtester Innenstadtlage konzipierten Hotels Badhaus. Wegen der nicht möglichen Aussicht aus den Zimmern tritt man die Flucht nach vorne an und versieht diese mit drei im Abstand übereinander liegenden, diffus verglasten Lichtschlitzen, um so die Introvertiertheit der Situation noch zu steigern. Ob dieses Konzept aufgeht, wird sich zeigen. Die letzte Station vor unserer Heimfahrt war in Vahrn die Villa Mayr, ein schönes mittelgroßes, von den Besitzern selbst geführtes Hotel, das auf den ersten Blick ein altes Gebäude darstellt, in Wahrheit aber nur im Sockelgeschoss original ist, und ansonsten neu errichtet ist unter Verwendung manch alter Ausstattungsteile. Nach außen hatte man keine Scheu, eine traditionelle Form wieder aufzunehmen und im Innern originell neu zu gestalten.

Zusammenfassend kann man sagen, dass diese Exkursion nach Südtirol einige neue und bisher in den üblichen Veröffentlichungen weniger betrachtete, neue Beispiele und Themen zum Vorschein gebracht hat und sich deshalb wieder sehr gelohnt hat.